Das Management von Einkaufspreisen ist und bleibt eine Kernaufgabe des Einkaufs

Boris Blazej, Supply Chain Partners

Der Einkauf benötigt für Verhandlungen, strategische Maßnahmen, wie etwa Benchmarking oder die Messung seines Erfolgs über die Zeit eine korrekte Transparenz auf die eigenen Konditionen. Für das einkaufende Unternehmen ist diese Transparenz noch an vielen anderen Stellen relevant, da die tatsächlichen Ausgaben in eine Reihe von Entscheidungen einfließen müssten: bei der Kostenrechnung und letztlich der eigenen Sortimentsgestaltung, bei der Entscheidung über Investitionen und Standorte, bei der Finanzplanung und der Erfolgsrechnung – um nur einige zu nennen.

Selbst, wenn andere strategische Handlungsfelder wie Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit oder Fachkräftemangel aktuell an Bedeutung gewinnen, so ergeben die meisten Umfragen und Gespräche mit Einkaufsverantwortlichen, dass das Management von Einkaufspreisen eine Kernaufgabe des Einkaufs ist und bleibt. Es sollte also zumindest gut bekannt sein, wie viel für eingekaufte Waren und Dienstleitungen bezahlt wird.

Die Härtegrade des Einkaufspreises

Der bezahlte Preis ist dabei nur die „härteste“ Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Auf dem Weg zur Bezahlung durchläuft der Preis allerdings verschieden Stationen im Rahmen typischer Einkaufsprozesse. Diese Stationen könnte man als „Härtegrade des Einkaufspreises“ (HGEP) bezeichnen und sie könnten etwa wie folgt aussehen:

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Je nachdem wen man im Unternehmen fragt, könnte die Antwort auf die Frage nach dem tatsächlichen Preis daher unterschiedlich ausfallen. Die Person, deren Job der taktische Einkauf und die Verhandlung ist, wird vielleicht mit dem vertraglich vereinbarten Preis (HGEP 3) antworten. Die bestellende Person im Rahmen des operativen Einkaufs wird mit dem in HGEP 4 oder 5 dokumentierten Preis antworten. Der Finanzbereich sieht vorrangig HGEP 6 und 7 und wird seine Antwort daraus ableiten und selbst dort könnten Buchhaltung und Controlling wiederum zu anderen Antworten kommen.

Man könnte einwenden: wenn die Prozesse sauber funktionieren und die Dokumentation ordentlich erfolgt, müssten alle diese Funktionen in allen unterschiedlichen Prozessphasen auf die gleichen Ergebnisse kommen. Das mag in der Theorie und in der Zielsetzung absolut richtig sein, die Realität biegt leider an vielen Stellen anders ab.

Die Ursachen für eine ungewollte und ungeplante „Preis-Diffusion“ können externer oder interner Natur sein

Boris Blazej, Supply Chain Partners

Die ideale Welt und die Realität

Tatsache ist, dass sich Preise an jedem Schritt in der oben dargestellten Abfolge verändern können – aus Sicht der einkaufenden Organisation manchmal gewollt, sehr oft ungewollt. Gewollt ist beispielsweise die kaufmännische Verhandlung, die im Idealfall von HGEP 1 nach 2 eine Verbesserung in Form eines niedrigeren Preises erreicht. Gewollt kann auch sein, dass sich die Buchhaltung von HGEP 6 nach 7 einen Finanzierungsrabatt (Skonto) abzieht, indem sie Lieferantenrechnungen früher bezahlt.

Es gibt jedoch auch ungewollte Veränderungen des Preises – diese sind noch dazu ungeplant. Die Ursachen für diese „Preis-Diffusion“ können externer oder interner Natur sein und sie finden an den unterschiedlichen Stationen der oben angedeuteten Prozesskette statt.

Externe Faktoren für Preis-Diffusion

Extern verursacht und damit nur in gewissem Maß vom einkaufenden Unternehmen kontrollierbar und planbar sind insbesondere sich verändernde oder kaum bis nicht absehbare Rahmenbedingungen, die zum Zeitpunkt der Verhandlung nicht bekannt waren. Beispiele für solche Rahmenbedingungen sind: Umweltfaktoren wie Rohstoffpreise, Inflation oder Regularien, Mengenplanungen – in Summe oder aufgeteilt auf Qualitäten und Varianten – die später korrigiert werden oder auch das Leistungsversprechen von Lieferanten, wenn es sich später im Prozess signifikant verändert.

Da wäre zunächst einmal der Unterschied zwischen der kaufmännischen Verhandlung (von HGEP 1 nach 2) und der detaillierten Vertragsverhandlung (von HGEP 2 nach 3). Speziell, wenn in diesen beiden Verhandlungen unterschiedliche Personen am Werk sind und der Verhandlungsgegenstand eine höhere Komplexität aufweist, können signifikante Unterschiede entstehen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass in der kaufmännischen Verhandlung eher die Vereinfachung und Reduktion von Komplexität nützlich sind, in der Ausformulierung von Vertragsformulierungen Details jedoch eine entscheidende Rolle spielen. Diese Umstände sind theoretisch vorhersehbar, in der Praxis sind sie es oft nicht.

Dazu kommen aber tatsächlich unvorhergesehene Faktoren, wenn sich die Rahmenbedingungen, die bei der Verhandlung angenommen werden im Lauf der weiteren Prozesse ändern. Grundsätzlich können diese diffundierenden Faktoren zeitlicher, räumlicher, sachlicher oder persönlicher Art sein. Bei vielen Einkaufsgütern lassen sie sich niemals gänzlich vermeiden.

Interne Faktoren für Preis-Diffusion

Noch viel mehr Ursachen gibt es für interne Einflüsse, auch wenn diese durch geeignete Prozesse und Regeln deutlich besser kontrollierbarer sind. Da bei fast jedem Arbeitsschritt im taktischen und operativen Einkauf Fehler passieren können, genügt für die Veranschaulichung eine beispielhafte Liste häufiger und typischer Beobachtungen aus der Praxiserfahrung:

  • Unterschiedliche Auslegung bei komplexeren Pricing-Modalitäten zwischen einkaufender und verkaufender Partei oder zwischen verschiedenen einkaufenden Organisationseinheiten, z.B. anzuwendende Zeitpunkte in Kombination mit indexgebundenen Preisen – daraus können andere absolute Werte resultieren als zum Zeitpunkt der Verhandlung errechnet
  • Verhandelte Preise werden nicht ordentlich von der verhandelnden zur bestellenden Person kommuniziert bzw. dokumentiert – dadurch stehen sie beim Bestellvorgang nicht zur Verfügung
  • Trotz ordentlicher Kommunikation werden die verhandelten Preise aufgrund schlechter Prozesse im operativen Einkauf fälschlicherweise nicht verwendet – auch dadurch wären bei Bestellungen falsche Preise in Verwendung
  • Behandlung von Neben- oder Zusatzkosten wie bspw. Logistik, Verpackung oder Qualitätssicherung; hierbei ist zu beachten, dass es widersprechende Interessen zwischen der „Kostenrechnungs-Sicht“, die sämtliche Kosten dem einzukaufenden Material zuzuordnen sucht, und der „Einkaufs-Sicht“ gibt, die einzelne Kostenbestandteile getrennt erfassen möchte, um sie bspw. unterschiedlichen Warengruppen zuzuordnen
  • Fehler bei der Rechnungsstellung bzw. -kontrolle, die nicht unbedingt böswilliger Natur sein müssen und wieder bei komplexeren Pricing-Modellen häufiger vorkommen (z.B. Energieeinkauf) – dadurch können die Preise ab Rechnungsstellung von denen der Vereinbarung abweichen
  • Spät im Prozess gewährte Rabatte, die zu einer Beeinflussung des tatsächlichen Preises führen – Klassiker im deutschsprachigen Raum wäre hier der Skonto für rasche Zahlung

Bewusstsein schaffen und Systeme richtig nutzen

Für alle an Einkaufsprozessen beteiligte Parteien – vom Management abwärts – ist daher wichtig zu wissen, dass es für einen Einkaufsartikel über Zeit und Ort oft nicht den einen einzigen Einkaufspreis gibt. Zu erwarten ist dies insbesondere bei Einkaufsgütern mit komplexen Pricing-Modellen und hohen operativen Fallzahlen (viele Bestellungen, viele Rechnungen).

In der Analyse ist daher interessant, wie groß so eine Streuung ist und woher sie kommt. Einkauf und Controlling sollten hier zusammenarbeiten, um eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Bewusstsein und Standards für Transparenz sowie für die Berichterstattung an das Management zu entwickeln.

Für das Einkaufsmanagement, welches danach strebt, speziell die vermeidbaren und ungewollten Ursachen zu eliminieren, empfiehlt sich eine detaillierte Prozessanalyse an komplexen und hochfrequenten Bestellartikeln. Speziell das Fehlen geeigneter Systeme im taktischen Einkauf und die korrekte Nutzung des  ERP-Systems (dieses wird allzu oft in seiner Komplexität unterschätzt) nach Übergang auf den operativen Einkauf sind heiße Kandidaten für potenzielle Fehlerquellen.

Über den Autor:

Boris Blazej verfügt über bald 20 Jahre Erfahrung in Einkauf und Business Intelligence. Nach Stationen in der Industrie sowie regionalen und internationalen Beratungshäusern hat er sich 2019 mit einem Team aus Experten als Supply Chain Partners selbstständig gemacht.

Seit vielen Jahren arbeitet er mit Unternehmen und Einkaufsentscheidern im DACH-Raum auf Ihrem Weg zur Optimierung des Einkaufs zusammen.