Nachdem der erste Teil der Artikelserie „Werthebel Teil 1: Das 1×1 der Einkaufsoptimierung, doch was sind sie genau?“ eine Erklärung gibt was Werthebel im Einkauf sind und welche Gemeinsamkeiten sie aufweisen, widmet sich dieser Artikel der Frage, wann welcher Hebel eingesetzt werden sollte. Gleichzeitig gibt er Praxisbeispiele zu vier weiteren Hebeln und beleuchtet den am häufigsten missverstandenen Hebel „Preis“ genauer.
Welcher Hebel zu welchem Zeitpunkt in welcher Warengruppe?
Nicht jeder Hebel sollte ohne eine Risikoabschätzung und einer Analyse möglicher Auswirkungen auf das eigene Unternehmen angewendet werden. Eine Möglichkeit zur Kategorisierung der betrachteten Güter oder Dienstleistung ist die Darstellung der individuellen Warengruppen in einer „Kraljic Matrix“. Durch diese Einteilung kann für jede Warengruppe eine individuelle Warengruppenstrategie festgelegt und die passenden Werthebel abgeleitet werden.
Die Auswirkungen der Bearbeitung hängen stark von der strategischen Bedeutung der eingekauften Güter oder Dienstleistungen für das eigene Unternehmen ab. So sollten bei strategischen oder Engpassgütern weniger konfrontative Hebel gewählt werden, um die eigene Versorgungssicherheit nicht unnötig zu gefährden. Bei unkritischen oder Hebel-Gütern kann dagegen die volle eigene Verhandlungsmacht genutzt werden.
Im Folgenden werden die vier verbleibenden Hebel des SCP Werthebelbaums „make or buy“, „Sourcing“, „Preis“ und „Verträge“ näher beleuchtet.
Make-or-Buy –
„Ist es günstiger, bestimmte Produkte selbst zu produzieren oder zuzukaufen?“
Grundsätzliches Ziel dieses Hebels ist es, den kostengünstigen Ort (intern vs. extern) für die Leistungserbringung im Produktionsprozess zu finden und zu nutzen. In der Unterwarengruppe „Negativ-Formen (Kunststoff)“, die als Verschleißteile in einer neuen Produktionsmaschine regelmäßig ausgetauscht werden müssen, kann beispielweise schon vor Anschaffung der Maschine die Frage gestellt werden, ob diese Negativ-Formen in der eigenen Spritzguss-Abteilung hergestellt werden oder von externen Partnern eingekauft werden sollten. Die interne Produktion birgt in der Regel nachhaltige Kostenvorteile, wenn zwei Kernanforderungen erfüllt sind:
- Bei einer Negativ-Form handelt es sich um eine strategisch wichtige Komponente, sodass Betriebsgeheimnisse im Produktionsablauf bei Fremdvergabe offengelegt würden
- Die interne Herstellung ist im Vergleich zum externen Einkauf kosteneffizienter
Diese Anforderungen sollten mit Ansprechpartnern aus den Abteilungen Engineering, Einkauf und der Produktion geklärt werden. Zwei Faktoren sind für die Bewertung, welche Variante „günstiger“ ist, besonders wichtig. Zunächst muss die Berechnung des Business Case cross-funktional alle relevanten Aspekte einbeziehen und so unternehmensinternen Interessenskonflikte vorbeugen. Beispielsweise sollten interne Prozesskosten, die durch den Koordinationsaufwand der internen Produktion entstehen, genauso Berücksichtigung finden wie positive Effekte bei der Nutzung von internen freien Produktionskapazitäten. Wichtig ist immer die Gesamtkosten für das Unternehmen zu betrachten, sodass es durch die Maßnahme nicht nur zu Kostenverschiebungen zwischen Abteilungen kommt.
Der zweite wichtige Faktor ist, dass strategische Entscheidungen im Business Case einbezogen werden müssen und diesen ein monetärer Wert beigemessen werden muss. Nur so kann für das Gesamtunternehmen ein positiver Business Case identifiziert werden, welcher lokal (für einzelne Unternehmensbereiche/-funktionen) sonst negativ erscheinen würde.
Darüber hinaus sollte zwischen strategischen und operativen Make-or-Buy (MoB) Entscheidungen unterschieden werden. Das strategische MoB entwickelt das Regelwerk, wie in bestimmten Situationen für bestimmte Produkte reagiert werden sollte. Beispielsweise die Entscheidung zur Auslastung interner Produktionskapazitäten durch Produkte, die bei guter Auftragslage extern kostengünstiger zugekauft würden. Dies ermöglicht es bei geringerer Auftragslage Know-How und Humankapital im Unternehmen zu erhalten. Die Reduktion von Produktionskapazitäten wäre dann eine Entscheidung, die bei kurzfristigen Änderungen des Ausblicks in ausgewählten Branchen (zB Sondermaschinenbau) nur schwer korrigierbar wäre.
Gleichzeitig müssen im strategischen MoB auch die Rahmenbedingungen definiert werden. So müssen zum Beispiel die Durchlaufzeiten zwischen Bestellung und tatsächlicher Lieferung relativ kurz sein. Gleichzeitig muss die interne Produktionsplanung flexibel reagieren können und die Anpassungen ebenfalls systemisch abbildbar sein. Sind die Regeln und Rahmenbedingungen eindeutig definiert, kann dann in der jeweiligen Situation eine operative MoB Entscheidung getroffen werden.
Sourcing –
„Wie kann ich maximalen Wettbewerb herstellen?“
Handelt es sich in der Warengruppe bis zu einem gewissen Grad um „Commodities“, wie beispielsweise in der Unterwarengruppe „LED-Leisten“ kann der Hebel „Sourcing“ und damit die Nutzung von vorhandenem Wettbewerb zum Erfolg führen. Ziel ist es, einen breiten Markt zu nutzen, um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für ein Gut oder eine Dienstleistung zu finden. Am Ende der Bearbeitung dieses Hebels kann dennoch die Fortführung einer bestehenden Lieferantenbeziehung stehen – aber zu besseren Konditionen. Erfolgskritisch ist die Offenheit gegenüber neuen Lieferanten, auch wenn mit diesen in der Regel prozessualer Mehraufwand in der Anfangsphase einhergeht.
Die Erzeugung von Wettbewerb kann beispielweise durch eine regionale Erweiterung der Lieferantenbasis auf andere Länder oder Kontinente geschehen. Die Auswahl neuer Lieferanten sollte dabei immer in enger Zusammenarbeit zwischen Einkauf und Bedarfsträgern erfolgen, um sowohl kaufmännische als auch qualitative Aspekte in die Entscheidungen einfließen zu lassen. So können neue Anbieter mit einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis identifiziert werden.
Dieser Hebel birgt besonders in sehr langen, historisch gewachsenen Lieferantenbeziehungen großes Potential für Einsparungen. Wichtig ist vor der Nutzung jedoch die Beachtung der Stimmung im Gesamtmarktumfeld (zB Rezession, Boom-Phasen…), da der Aufbau neuer Kundenbeziehungen in der Regel auch auf Lieferantenseite Aufwand bedeutet und die Bereitschaft zur Angebotslegung maßgeblich beeinflusst. Marktweite Ausschreibungsunterlagen sollten daher so einfach wie möglich gestaltet werden, um eine größtmögliche Rückmeldungsquote zu gewährleisten.
Lieferantenverträge –
„Sind Konditionen mit Lieferanten verschriftlicht und allen Prozessbeteiligten bekannt?“
Dieser Hebel wirkt wie eine Selbstverständlichkeit – er ist es in der Praxis leider oft nicht. Die Verschriftlichung von Konditionen gibt Unternehmen nicht nur (beidseitig) höhere Rechtssicherheit, sondern kann auch Einsparungen generieren. In der Warengruppe „Logistik (Fracht)“ kann eine längere Gesamtvertragslaufzeit dem Lieferanten beispielweise eine Grundauslastung seiner Fahrzeuge garantieren, wodurch dieser geringere Risikoaufschläge in seiner Kalkulation berücksichtigen kann. Bei der Bearbeitung dieses Hebels sollten unbedingt Juristen eingebunden werden, damit keine vertraglich nachteiligen oder nicht haltbaren Vereinbarungen getroffen werden. Essenziell für die tatsächliche Generierung von Einsparung ist, dass Verträge für Bedarfsträger und Beauftragende leicht zugänglich sind. Denn: was nutzen Konditionen und Verträge, die niemand kennt?
Preis –
„Ist der gezahlte Preis fair?“
Dieser Werthebel wird häufig missverstanden, jedoch geht es in diesem Hebel ausdrücklich nicht darum den Lieferanten im „Preis zu drücken“. Ziel ist es eine nahezu vollständige Transparenz über den zu zahlenden Preis für ein Gut oder eine Dienstleistung zu gewinnen. Die eigentliche Herausforderung besteht daher darin sich in den Lieferanten hineinzuversetzen und einzelne Kostenfaktoren zu quantifizieren.
In der Warengruppe „Arbeitskräfteüberlassung“ wäre das zum Beispiel die Analyse, in welcher kollektivvertraglichen Gruppe die überlassenen Arbeitskräfte angestellt sind und welche zusätzlichen Gemeinkosten (zB administrativ, prozessual…) für den Lieferanten entstehen. So lässt sich ein fairer Preis ermitteln und die aktuelle Marge des Lieferanten abschätzen. (Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel „Die Illusion des besten Einkaufspreises “) Welche Stakeholder in die Bearbeitung involviert werden sollten hängt maßgeblich davon ab, welche Leistung oder welches Produkt in seine Kostenbestandteile „zerlegt“ werden soll. Im genannten Beispiel sollte der Einkauf zusammen mit Vertreten der Personalabteilung und Bedarfsträgern die Kostenzerlegung durchführen.
Ist unternehmensintern keine belastbare „Zerlegung“ möglich kann sich das Einbeziehen eines Experten der jeweiligen Warengruppe auszahlen. In besonders intransparenten oder zuvor nicht bearbeiteten Warengruppen sind die größten Einsparungen möglich. Wichtig bei der Kostenzerlegung ist das Fachwissen des jeweiligen Bedarfsträgers, damit die Quantifizierung sowohl in ihrer Höhe realistisch ist als auch qualitativ kein „Äpfel-mit-Birnen“ Vergleich durchgeführt wird. Auch im Fall von geringem Wettbewerb und geringer Verhandlungsmacht (monopolistische Lieferanten) kann der Hebel ein lohnender Ansatz sein.
Wie wird aus einem Werthebel eine messbare Einsparung
Die Anwendung von Werthebeln bieten eine gute theoretische Grundlage für die Erzielung von Einsparungen. Dennoch sind sie nur eine analytische und konzeptionelle Methode. Aus Hebeln konkrete Maßnahmen abzuleiten und diese erfolgreich umzusetzen, ist eine zentrale Aufgabe eines erfolgreichen Warengruppenmanagements. Hierbei sind klassische Management-Tugenden wie Kommunikation, Zeitmanagement, Frustrationstoleranz, Leadership oder Projektmanagement essenziell, um das gesamte Unternehmen erfolgreich einzubinden. Gutes Warengruppenmanagement ist eben nicht nur die Expertise in einer oder mehreren Warengruppen, sondern vor allem auch gutes Management. Dies wird Thema in einem der nächsten Artikel sein …