Wie können Unternehmen nachhaltige Kostensenkungen generieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Und wie kann der Einkauf dazu beitragen? Diese Fragen stellen sich Unternehmen gleichermaßen in konjunkturell schwierigen Phasen als auch in Boomphasen. Zur Generierung sollen häufig „Werthebel“ genutzt werden – leider oft missverstanden und ohne ihr volles Potential auszunutzen. Diese Artikelserie macht sie greifbarer und gibt Beispiele, wie durch ihre strukturierte Nutzung tatsächliche und nachhaltige Kostensenkungen generiert werden können.

Viele unterschiedliche Erklärungen – eine wichtige Gemeinsamkeit

In der Literatur gibt es unterschiedliche Erklärungen für die Bezeichnung als „Hebel“. So werden sie beispielweise so bezeichnet, weil die positive Wirkung auf das Unternehmensergebnis größer ist als die verursachten internen und externen Kosten der Bearbeitung.

Eine andere Erklärung ist der deutlich größere Effekt auf das Unternehmensergebnis durch eine relative Kostenreduktion im Vergleich zu einer relativen Umsatzsteigerung in gleicher Höhe. Unabhängig von der Erklärung ist eines allen Hebeln gemeinsam. Sie bieten eine Methodik, um in unterschiedlichen Warengruppen Kostensenkungen strukturiert zu erarbeiten (manchmal auch Werterhöhung bei gleichbleibenden Kosten). Gleichzeitig können unterschiedliche Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten genutzt werden. So wird eine Warengruppe einkäuferisch mehrdimensional bearbeitet und nicht nur nach dem typischen Ansatz „Wir führen ein Jahresgespräch mit unserem Lieferanten und holen uns zum Vergleich Alternativangebote ein“ und danach wird die Warengruppe als für ein Jahr abgeschlossen betrachtet.

Dieser Artikel beleuchtet die ersten drei Hebel des “SCP-Werthebelbaum Einkauf“ im Detail und gibt Praxisbeispiele, wie durch die Nutzung nachhaltige Einsparungen generiert werden können.

Produkt & Service –
„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“

Dieser Werthebel befasst sich u.a. mit den physikalischen, chemischen und technischen Eigenschaften eines Produktes oder Material bzw. dem Leistungsumfang einer Dienstleistung. In der Warengruppe „Primär-Packmittel (Kunststoff)“ in der Lebensmittelindustrie gibt es beispielweise Mindestanforderungen, die eingehalten werden müssen, damit Weichmacher nicht an das Produkt abgegeben werden können. Gleichzeitig sollten aber alle nicht unbedingt notwendigen technischen Eigenschaften, für die der Kunde nicht bereit ist zu bezahlen, nicht übererfüllt werden („critical to quality“).

Ein mögliches Vorgehen zur Anwendung dieses Hebels ist beispielsweise ein „Value Engineering“-Workshop mit Beteiligten aus den Abteilungen Produktdesign, Einkauf, Qualitätssicherung und der Produktion. Grundlage für so einen Workshop bildet ein weißes Blatt Papier mit der Grundfrage „Welche Mindestanforderungen muss diese Verpackung unbedingt erfüllen?“. Der interdisziplinäre Austausch, bei dem der Einkauf bereits frühzeitig einbezogen wird, verringert so das Risiko höherer Gesamtkosten oder späterer Spannungen zwischen dem Einkauf und anderen Abteilungen. Zusätzlich können, bei guten Beziehungen zwischen Einkauf und Lieferanten, dessen Erfahrungen und innovative Ideen miteinbezogen werden.

Durch diesen Hebel wurden gegenüber Schätzungen oder Budgets früher Planungsstadien in der genannten Warengruppe Einsparung von jenseits der 30% erreicht. Wichtig hierbei ist jedoch, sich auf die vielversprechendsten Materialien, Produkte oder Projekte zu fokussieren, da die Bearbeitung im Sinne des Werthebels auch mit Aufwand verbunden ist. In einigen Branchen, in denen am Anfang eines Produktlebenszyklus die Richtung für die gesamte Serie festgelegt wird, sollte ein besonderer Fokus auf diesem Werthebel liegen. Änderungen sind dort in der Regel nur mit erheblichen Test- und Implementierungsaufwand verbunden, sodass zusätzliche Kosten entstehen würden.

Prozess –
„Wie gestalte ich meinen Prozess möglichst schnell, effektiv und effizient?“

Übliche Ziele dieses Hebels sind im Endausbau die Rationalisierung (z.B. durch Automatisierung) bis hin zur gänzlichen Eliminierung von (Teil-)Beschaffungsprozessen. Er eignet sich daher besonders für Artikel mit geringen Preisen je Stück (auch „unkritisch“ genannt) und hoher Artikelvielfalt (auch „komplex“ genannt), wie die Warengruppe „Hilfs- und Betriebsstoffe (HIBE)“. Die Komplexität einer hohen Artikelvielfalt geht meist mit aufwändigen und somit teuren internen Prozessen einher, beispielsweise das Stammdatenmanagement, das Spezifikationsmanagement oder die verhältnismäßig viel öfter durchlaufenen operativen Prozesse Anfordern, Bestellen, Einlagern, Einbuchen, etc..

Die Einführung eines Bestellkatalogs mit freigegebenen Fabrikaten ermöglicht das Zusammenwachsen der Prozessschritte „Bestellanforderung“ und „Bestellung“ und schafft so nicht nur eine Verkürzung der Durchlaufzeiten, sondern auch die Automatisierung von repetitiven oder manuellen Tätigkeiten. Gleichzeitig kann über den Katalog die technische und kaufmännische Compliance gesteuert werden. Bei der Bearbeitung dieses Hebels spielt daher neben dem Einkauf und den Bedarfsträgern meist die IT und die Buchhaltung eine zentrale Rolle. Schnittstellen zwischen internen ERP-Systemen und den Bestellkatalogen müssen definiert werden. Gleichzeitig sollte die spätere Rechnungsprüfung und Verarbeitung ebenfalls automatisiert erfolgen (bspw. „3-Wege-Match“ oder gleich ein Gutschriften-Verfahren) damit die Automatisierungsvorteile bis zum Ende des Gesamtprozesses genutzt werden können.

Essenziell bei der Nutzung des Prozess-Hebels ist der Übergang von einer reinen Preis-Fokussierung auf eine Kosten-Fokussierung. Zu optimieren sind die gesamten Prozesskosten („total costs of ownership / acquisition“). Ein etwas höherer Preis pro Stück kann in einem dadurch erleichterten Beschaffungsprozess interne Prozesskosten senken und somit für das einkaufende Unternehmen günstiger sein. Aber Achtung: Prozesskosten senken heißt auch immer eingesetzte Ressourcen tatsächlich aus dem Prozess herauszulösen und somit auch die entsprechenden Kosten tatsächlich nicht mehr zu produzieren! Dabei muss es nicht zwangsläufig zur Freisetzung von Personen kommen, sofern diese an anderer Stelle Mehrwert für das Unternehmen erbringen.

Ein weiteres Beispiel aus dem After-Sales-Service wäre der Versand von Ersatzteilen durch einen KEP (Kurier-Express-Paket) Dienstleister und dessen Beauftragung. Die Anforderung von Ersatzteilen ist im Vorhinein oft nicht planbar und erfordert daher eine effiziente und kostengünstige Abarbeitung von „Ad hoc“-Serviceaufträgen / Bestellungen. In der Waregruppe „KEP“ sollten Konditionen für unterschiedliche Dringlichkeitsstufen vertraglich festgehalten werden. Welcher Leistungsumfang dann tatsächlich beauftragt wird, hängt vom individuellen Auftrag ab. Durch einen bedarfsträgerfreundlichen Prozess muss sichergestellt werden, dass der vom Einkauf und der unter kaufmännischen Aspekten attraktivste Lieferant für den jeweiligen Leistungsumfang auch tatsächlich beauftragt wird. Ein regelmäßig erstellter Report zu Abweichungen erlaubt den Anteil „falsch“ beauftragter Lieferanten kontinuierlich zu senken. Damit der Prozess stabil und bedienerfreundlich ist und eine mögliche unabsichtliche Nicht-Einhaltung vermieden wird, sollten hier ebenfalls Einkauf, IT und die Bedarfsträger bei der Definition des Prozesses und der Abbildung im System involviert werden.

Neben den direkten prozessualen Einsparungen können durch die Reduktion von internen Rückfragen und operativem „Troubleshooting“ zusätzlich Einsparungen generiert werden und die freigewordene Zeit für wertschöpfendere Tätigkeiten genutzt werden.

Menge –
„Können durch Bündelung Mengeneffekte erzielt werden?“

Ziel dieses Hebels ist es durch Erhöhung der Menge die anteiligen Fixkosten zu senken, somit verringern sich die Kosten je Stück. Die Reduktion könnte ebenfalls beim Lieferanten generiert werden und dann in Form einer anteiligen Preisreduktion an das bestellende Unternehmen weitergegeben werden. Ein Beispiel für die Nutzung dieses Hebels ist die Warengruppe „Logistik (Fracht)“. Eine Bündelung kann zB über unterschiedliche Werke, längere Zeiträume oder verschiedene Lieferanten erzielt werden. Bündelung in diesem Zusammenhang bedeutet nicht immer zwangsläufig die physische Bündelung der Mengenströme. Effekte können ebenso erzielt werden, wenn eine vorher fragmentierte Einkaufsstruktur aus unterschiedlichen Standorten durch eine Lead-Buyer-Struktur abgelöst wird, bei der der Lieferantenmarkt gemeinsam angesprochen wird. Potenzielle Lieferanten sind so zu Zugeständnissen gegenüber Einzelbestellungen bereit, da sie den tatsächlichen Jahresbedarf des Unternehmens besser einschätzen können.

Die Bündelung über Einkaufsallianz gemeinsam mit anderen Unternehmen (meist in anderen Branchen angesiedelt) stellt dabei die Königsdisziplin der Mengenbündelung dar. Neben dem Einkauf müssen die Bedarfsträger unterschiedlicher Standorte involviert werden, um festzustellen, ob es sich bei den eingekauften Leistungen auch um tatsächlich bündelbare Leistungen handelt. Die maximale Einsparwirkung hat dieser Hebel im Fall von fragmentiertem Einkaufsverhalten, in dem verschiedene Bedarfsträger unterschiedliche Lieferanten für die gleichen Bedarfe einsetzen und im direkten Kontakt ohne Einbindung des Einkaufs zu diesen stehen.

Einkauf als interdisziplinäre Aufgabe des Gesamtunternehmens

Die oben genannten Beispiele und Instrumente geben einen Eindruck einkäuferischer Möglichkeiten, um nachhaltig Kosten zu senken bzw. den Wertbeitrag des Einkaufs zu erhöhen. Gemein sind ihnen die notwendige Zusammenarbeit unterschiedlicher Funktionen des gesamten Unternehmens mit dem Einkauf – der erhöhte Aufwand rechtfertigt bei richtiger Anwendung jedoch die generierten Kostensenkungen. Diese Beispiele zeigen erneut, dass guter Einkauf nicht nur die Aufgabe der Einkaufsabteilung ist, sondern des gesamten Unternehmens.

Der nächste Teil der Artikelserie wird sich den vier verbleibenden Hebeln widmen und erklären, wie wichtig die Auswahl des richtigen Hebels für die jeweilige Warengruppe und den Erfolg der jeweiligen Maßnahme ist.