Die letzten Jahre haben eindringlich verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit in Unternehmen nicht nur ein Trend, sondern eine strategische Notwendigkeit ist.
In unserem dritten Supply Chain Partners Dialog spricht Alexander Steinhart, geschäftsführender Gesellschafter von Supply Chain Partners, mit Reinhard Hubmann, Zentraleinkäufer und Head of ReUse Management der Siemens AG über seine Motivation hinter seinem Engagement für nachhaltige Praktiken, die Rolle des Einkaufs in der nachhaltigen Transformation und über aktuelle Chancen und Herausforderungen rund um Dekarbonisierung, Klimaschutz und neue Verordnungen.
„Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben“
Lieber Reinhard, es freut mich sehr, dass du uns für den 3. Supply Chain Partners-Dialog zur Verfügung stehst.
Du bist seit 37 Jahren bei Siemens in den unterschiedlichsten Einkaufsfunktionen tätig und seit acht Jahren zusätzlich auch noch in der Rolle des Head of ReUse Management in der Siemens Österreich AG. Du treibst dort das Thema Nachhaltigkeit im Supply Chain Management voran. Was hat dich dazu motiviert, dich so intensiv zu engagieren? Gab es eine Situation, die besonders prägend für dich war?
Danke für die Einladung. Ich freue mich, mich mit dir darüber auszutauschen und meine Erfahrungen zu teilen.
An und für sich beschäftige ich mich im privaten Umfeld schon sehr lange mit dem Thema Nachhaltigkeit und ökologischem Denken und Handeln. Vor allem auch im Zusammenhang, wie ich meine Generationenverantwortung wirksam umsetzen kann. Durch die Beschäftigung mit dem Thema bin ich auf einen Vortrag von Michael Braungart zum Thema Cradle to Cradle gestoßen, welcher dann auch die Initialzündung war, dass ich das Thema breiter, also nicht mehr nur im privaten, sondern auch im beruflichen Umfeld, betrachte. Ich habe mein Wissen relativ schnell vertieft, viel über die Themen Cradle to Cradle und Kreislaufwirtschaft gelesen und bin damals auf für mich extrem interessante Möglichkeiten gestoßen, was man im geschäftlich industriellen Umfeld umsetzen kann, mit denen ich mich davor überhaupt noch nie auseinandergesetzt habe.
Der richtige Boost ist entstanden, indem ich mich bei Siemens mit dem Entsorgungsmanagement in einem Mobility Werk beschäftigt habe. Die Entsorgung ist normalerweise ein Randthema in großen Werken, obwohl es dabei um sehr große, aber nicht sehr transparente, Kostenstrukturen und Mengen geht. Ich habe damals das Thema Entsorgung im Zusammenhang mit dem Wissen, was ich rund um das Thema Kreislaufwirtschaft aufgebaut habe, gesehen und dabei festgestellt, dass es sich dabei um enorme Ressourcenmengen und auch um viel Geld handelt. Durch die Einführung des ReUse Managements habe ich mich nicht nur mit der Wiederverwendung, also damit Ressourcenschonung, sondern auch mit den finanziellen Vorteilen dessen beschäftigt. Dadurch konnte das Thema auch Gehör und Akzeptanz im Management finden. Auf der anderen Seite motivierte es mich hier weiterzumachen und das Thema Kreislaufwirtschaft zu professionalisieren.
Gerade der Aspekt dieses ergänzenden Nutzens, den es noch zusätzlich zur Nachhaltigkeit benötigt, also entweder Profitabilität oder Risikominimierung ist auch etwas, was wir in unseren Projekten sehr oft sehen.
Die Siemens AG Österreich ist riesig. Du bist zum einen im Bereich Einkauf, zum anderen als Head of ReUse Management tätig. Wie siehst du deine Rolle in dem Kontext dieser nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens?
Die Rolle musste sich und muss sich immer noch entwickeln. Nachhaltigkeitsthemen sind auf der einen Seite für das Unternehmen neu und auf der anderen Seite sperrig. Darum musste ich mich immer wieder an die Umgebung und an die Möglichkeiten, die mir gegeben wurden, anpassen und sehr flexibel sein.
Zusätzlich habe ich auch gelernt, dass es global gesehen am Markt schon sehr viele Lösungen gibt. Also muss man bei Sustainability-Umsetzungsinitiativen in Unternehmen oft nur nach bestehenden Lösungen und Möglichkeiten suchen und die passenden auswählen. Natürlich passt nicht jede Idee oder Lösung von anderen auch bei Siemens, aber ich versuche hier mit Know-how Transparenz zu schaffen. Wir haben bei Siemens den übergeordneten Leitsatz „copy with pride“ und dieser hat sich in der Nachhaltigkeit für mich extrem sinnvoll gezeigt, um die Umsetzung von Ideen und Lösungen in der Nachhaltigkeit zu beschleunigen.
Wie würdest du die aktuelle Situation und die Entwicklungen im Einkauf rund um die Themen Dekarbonisierung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit einschätzen? Insbesondere in Hinblick auf aktuelle politische Aktivitäten, Wetterereignisse und neue Verordnungen? Hast du das Gefühl, dass die Dringlichkeit dieser Themen mittlerweile angekommen ist?
Die Dringlichkeit des Themas Nachhaltigkeit ist laut Wissenschaft eigentlich mit sehr vielen Fakten belegt und es ist sehr viel dazu bekannt. Dennoch wird sie in der Gesellschaft sehr unterschiedlich wahrgenommen und durch Medien, Politik und Lobby stark polarisiert. Durch Corona und die Vielzahl an Problemen auf dieser Welt, haben sich einfach zu viele andere Themen wieder in der Priorität vorgedrängt. Diese aktuelle Polarisierung ist für mich eine unangenehme Entwicklung, weil damit die Dringlichkeit nicht unterstützt, sondern eher blockiert und verschoben wird.
Leider wird zusätzlich diese tatsächliche Dringlichkeit von Umsetzungsmaßnahmen durch übermotivierte Regularien von der EU heruntergebremst. So sehr ich den Inhalt der Regularien schätze – und ich habe mir diese wirklich sehr genau durchgelesen – brauchen Unternehmen zwischenzeitlich sehr viele Kapazitäten für Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die nur am Papier sind und in Bürokratiemonster stecken. Ich sage es nicht gerne, aber die Regularien werden für die gesamte Industrie in Europa immer mehr zur Belastung als zur Chance. Ich möchte die Regularien auch nicht klein- oder wegreden, weil wir die Umsetzung dringend brauchen und die Regularien vor allem in Richtung Transparenzschaffung einen Mehrwert liefern, aber wir brauchen Augenmaß und Zeit dafür.
Wir haben im Endeffekt anzupacken. Wir müssen schnell etwas tun. Wir müssen schnell in Maßnahmen hineinkommen. Aber wir müssen vieles ein bisschen realistischer und mit Augenmaß betrachten und eine idealistische Brille abnehmen. Denn es geht trotzdem auch um die Gesellschaft und diese muss den Wandel mitnehmen, mittragen, sich mitentwickeln und anpassen.
Es gibt eine ganze Menge an Anpassungsnotwendigkeiten, die bei einer großen Gesellschaft und vor allem bei einer globalen Gesellschaft nicht so schnell gehen, wie wir das gerne hätten.
Was ist aus deiner Sicht noch notwendig, damit dieser Shift zu mehr Nachhaltigkeit in einem Unternehmen gelingen kann?
Ich habe oft den Eindruck, dass das Thema „Chance“ vernachlässigt wird, weil Nachhaltigkeitsmaßnahmen eher als Belastung gesehen werden. Dabei sollten wir auch die Chancen betrachten, die sich daraus ergeben können, insbesondere in Bezug auf Profitabilität bzw. Einsparungen oder die Generierung von margenträchtigem Umsatz. Hast du auch das Gefühl, dass diese Chancen zu wenig Beachtung finden?
Wie du bereits erwähnt hast, ist dieses Thema oft unterbelichtet und hängt meiner Meinung nach unmittelbar an der Organisation und dem Know-how des Managements. Je mehr ganzheitliches Wissen zum Thema Nachhaltigkeit in den Entscheidungsebenen des Topmanagements vorhanden ist, desto einfacher wird es, die Diskussion über die Potenziale zu führen und deren Umsetzung zu gestalten.
Neben dem Know-how des Managements ist auch die Ehrlichkeit der Umsetzung entscheidend. Leider gibt es viele Greenwashing-Aktivitäten am Markt, bei denen Unternehmen lediglich versuchen, den Anforderungen des Finanzmarktes gerecht zu werden, ohne dass substanzielle Maßnahmen dahinterstehen.
Es gibt viele Firmen, wie auch bei Siemens, bei denen das Topmanagement absolut hinter diesen Themen steht – nicht nur mit Ehrlichkeit, sondern auch mit entsprechenden Budgets und organisatorischen Strukturen. Es bedarf eines klaren Top-Down-Ansatzes und eines geeigneten Setups, um die Diskussion darüber zu fördern, welche Chancen sich für Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft oder intermodale Mobilität ergeben können – sei es in Bezug auf Energieeffizienz oder Ressourcenschonung.
Wie bei jeder Optimierung oder generell bei jeder Veränderung möchte man den Erfolg oder den Fortschritt auch messen. Gibt es bei euch im Einkauf gewisse Kennzahlen, die das Thema Nachhaltigkeit oder den Erfolg dieser Bestrebungen nachvollziehbar machen?
Der wichtigste KPI für uns im Einkauf ist derzeit die Bearbeitung des Corporate Carbon Footprints unserer Lieferanten. Wir arbeiten mit einer spezifischen Methodik und nutzen Tools, die es uns ermöglichen, unsere Entwicklungen monatlich zu verfolgen. Dazu haben wir eigene Fragebögen entwickelt und bieten Trainingsprogramme für unsere Lieferanten mit dem Ziel gemeinsam an Verbesserungen zu arbeiten, basierend auf den Erfahrungen und Bewertungen, die wir sammeln. Wir haben zahlreiche Technologien bei uns im Unternehmen, die Unterstützung in Bezug auf Industrieanlagen und Gebäude bieten können. Das gibt uns den Vorteil, dass wir nicht nur auf Missstände hinzeigen können, sondern auch konkrete Verbesserungsvorschläge geben können. Die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten hat derzeit für uns höchste Priorität, weil das die Grundlage für den Product Carbon Footprint bildet, den wir benötigen. Schließlich kaufen wir keine Lieferanten ein, sondern Produkte. Daher ist das der nächste Schritt, den wir aktuell einleiten.
Darüber hinaus beschäftigen wir uns auch intensiv mit dem Themen Corporate Responsibilities hinsichtlich Governance, ethischen und sozialen Themen. Wir haben Standards festgelegt, die unsere Lieferanten anerkennen müssen. Diese sind zwischenzeitig vollständig mit einem Code of Coduct mit unseren Lieferanten abgedeckt.
Vielleicht noch abschließend: Was würdest du jedem Einkäufer, jeder Einkäuferin da draußen mitgeben?
Also erstens einmal, dass Nachhaltigkeit gekommen ist, um zu bleiben. Es ist also ein fixer Bestandteil unserer täglichen Arbeit im Einkauf. Darüber brauchen wir nicht mehr diskutieren.. Auch wenn es derzeit vielleicht noch ein Randthema ist, wird es zukünftig eine wesentliche Thematik wie aktuell die Themen Preise, Verfügbarkeit oder Qualität. Wir sollten es im Einkauf als Chance wahrnehmen, Maßnahmen voranzutreiben, die unternehmerische, aber auch gesellschaftliche Relevanz haben. Mich persönlich motiviert es sehr, nicht nur positive Dinge, wie Produktivität oder neue Produkte, im Unternehmen zu schaffen, sondern auch eine Wirksamkeit auf die Gesellschaft und unseren Planten zu haben.