Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das Thema Supply Chain strategisch positioniert und bearbeitet werden muss. Denn strategische Versäumnisse können in einer Krise nicht aufgeholt werden.
In unserem ersten Supply Chain Partners Dialog spricht dazu und zu anderen Herausforderungen Alexander Steinhart, geschäftsführender Gesellschafter von Supply Chain Partners, mit Beatrix Praeceptor, CEO der Greiner Packaging.
„Ich bin lieber Teil der Lösung, als nur über das Problem zu jammern“
Liebe Beatrix, wir kennen und schätzen uns ja schon seit längerer Zeit. Umso mehr freue ich mich, dass du uns für den Supply Chain Partners Dialog zur Verfügung stehst.
Du warst im Hause der Mondi Group als Chief Procurement Officer eine bekannte Größe und bist im Mai 2023 als CEO der Packaging Division zur Greiner Group gewechselt. Wie kam es dazu?
Ich habe zu dem Zeitpunkt schon seit elf Jahren bei Mondi gearbeitet und bin von Natur aus jemand, der gern gestaltet und Themen vorantreibt. Dieser Mehrwert ist bei Mondi für mich immer weiter in den Hintergrund gerückt. Nach einer gewissen Zeit ist es schwer, außerhalb seiner Box zu denken und der Energieaufwand, neue Themen und Veränderung voranzutreiben, wird immer größer. Wahrscheinlich ist er auch gar nicht so notwendig, denn es läuft ja alles gut. In diesem Spannungsfeld hat sich für mich die Frage gestellt: Will ich diesen schönen, ruhigen Fluss noch die letzten zehn Jahre meiner Karriere haben? Auf der anderen Seite habe ich noch viel Energie und möchte weiterlernen. Ich wollte auch immer in die erste Reihe. Mein Traum war stets, Dinge so zu gestalten, wie ich sie mir vorstelle, und nicht nur aus der zweiten Reihe zu sagen, was die anderen falsch machen. Ich bin lieber Teil der Lösung, als Probleme zu beklagen. Mitten in diesen Überlegungen kam das Angebot von Greiner. Wo die Zukunft unglaublich spannend und herausfordernd ist, da es darum geht, in den nächsten Jahren das Produktportfolio noch nachhaltiger auszurichten. Wie ich es sehe, hat Greiner jemanden gesucht, der nicht den üblichen Karriereweg eines CEO gegangen ist, sondern eine Persönlichkeit mit Konzernerfahrung einerseits und mit dem Wertegefüge eines Familienunternehmens andererseits.
Aufgrund der in Unternehmen häufig gestellten Frage: „Wie lange können wir noch weiterproduzieren?“, war das Thema Supply Chain in den letzten Jahren im Tagesgeschäft sehr präsent. Hat sich deiner Erfahrung nach, die Sicht des C-Levels auf Supply Chain Management dadurch verändert?
In den letzten Jahren haben viele Unternehmen gelernt, dass etwas, das immer gegeben war – nämlich eine funktionierende Lieferkette – plötzlich eben nicht mehr selbstverständlich war. Für mich ist einer der Gründe, warum es so wenige Chief Supply Chain Officer gibt, dass das Thema Supply Chain meist als sehr operativ wahrgenommen wird. In der Supply Chain arbeiten Menschen, die Probleme lösen, und somit funktioniert sie auch immer. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das Thema Supply Chain strategisch positioniert und bearbeitet werden muss. Denn strategische Versäumnisse können in einer Krise nicht aufgeholt werden.
Da ist Troubleshooting gefragt.
Genau, da geht es dann um Troubleshooting. Aber wenn man ständig im Hamsterrad des Troubleshootings ist, muss man sich irgendwann herausnehmen, um das Ganze einmal von etwas weiter weg zu betrachten und sich zu fragen: Wie können wir uns strategisch so aufstellen, dass unsere Kund:innen das bekommen, was sie brauchen, wenn sie es brauchen? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das von guter strategischer Arbeit mit Lieferant:innen und am gesamten Supplier-Management abhängt. Dabei geht es sowohl um strukturelle Themen als auch um menschliche Beziehungen.
Um gute Zahlen zu erwirtschaften, braucht es auf jeden Fall eine funktionierende Supply Chain, es braucht funktionierende Partnerschaften mit Kund:innen und klarerweise auch mit Lieferanten. Das alles rückt die Supply Chain und den Einkauf etwas näher zum C-Level. Vor allem ist es unserer Erfahrung nach wichtig strategisch am System zu arbeiten und nicht nur im System gut zu sein. Wo muss man hier deiner Meinung nach ansetzen?
Ich arbeite nun fast 30 Jahre in unterschiedlichen Bereichen in der Supply Chain und weiß, dass sobald man etwas strukturell oder strategisch in der Supply Chain ändern will, sehr rasch die Frage gestellt wird, ob und wie sich das rechnet. Auf den zweiten Blick wird meist ersichtlich, dass man die internen Supply-Chain-Kosten gar nicht kennt. Das ist sicher eines der Dinge, die sich verändern werden oder sich meiner Ansicht nach bereits ein wenig verändert haben. Man konzentriert sich nicht nur darauf, ob sich etwas – nach den Kriterien, die wir heute kennen – rechnet, sondern man fragt: Ist das auch das Richtige, ist es das, was wir tun müssen? Auch wenn es sich vielleicht erst in zehn Jahren rechnet? Das heißt konkret: Wir haben die Verantwortung als Unternehmen, nicht nur heuer Profite zu machen. Natürlich müssen wir die machen, denn sonst gibt es uns nicht mehr, aber wir tragen darüber hinaus auch die Verantwortung, dass es in zehn oder dreißig Jahren noch eine Welt gibt, in der wir arbeiten oder leben können.
Neben Aspekten der Nachhaltigkeit geht es da zu einem großen Teil auch um Risikomanagement. Und das wird in einer Welt, die so dynamisch ist, wie sie sich aktuell entwickelt, immer wichtiger. Nach wie vor haben sich gewisse Bottlenecks in den Lieferketten nicht aufgelöst, geopolitische Spannungen nehmen eher zu als ab und die Inflationsentwicklung der letzten Jahre schlägt sich bereits in einer geringeren Nachfrage nieder. Bleibt es also für die Supply Chain auch weiterhin so herausfordernd?
Ich glaube, dass die Volatilität das neue Normal ist. Unberechenbarkeit ist das neue Normal. Es existieren im Moment überall auf der Welt zahlreiche fragile Elemente, die alle miteinander zusammenhängen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwo wieder etwas passiert, was die Lieferketten unterbricht. Aber wie wir während der Corona-Pandemie gesehen haben, sind Menschen unglaublich lernfähig und können sich schnell auf Krisen einstellen. Das Risikomanagement hat stark an Bedeutung gewonnen, das Denken in Szenarien und das Krisenmanagement wird Teil der Planung und der Businessprozesse werden. Um im Fall des Falles – ähnlich wie bei einer Versicherung – vorbereitet zu sein.
Dieses Wachstum wird man wahrscheinlich nicht nur über die eigenen Leute etablieren wollen oder können, sondern man wird neue Leute für das Unternehmen begeistern wollen. Und hier wartet gleich die nächste große Herausforderung: Wie findet man gute Leute und hält diese über längere Zeit ans Unternehmen gebunden? Ich habe letztens etwas Interessantes über die sogenannte Generation Z gelesen: Sie definiert Bindung als eine Entscheidung, die nur so lange gilt, bis etwas Besseres nachkommt. Wie stellt man sich als Unternehmen auf eine solche Haltung ein?
Ich glaube, wenn es darum geht, Menschen im Unternehmen zu halten, dann ist der einzige Differenziator der Führungsstil, die Kultur und wie die Menschen miteinander umgehen. Leider ist das vielen noch immer nicht klar genug geworden. Es gibt immer noch zahlreiche Führungskräfte, auch Top-Führungskräfte, die sagen: Du bist zum Arbeiten da, arbeite, und wenn du morgen weg bist, bist du halt morgen weg, mir auch egal.
Es kommt darauf an, dass man menschliche Beziehungen schafft. Die klassische Trennung zwischen Beruf und Leben, wie es früher der Fall war, gibt es heute kaum noch. Berufs- und Lebenswelten fließen immer mehr ineinander, das heißt aber auch, dass ich in meinem Leben sinnvolle Beziehungen haben möchte. Ich will einen Chef oder eine Chefin haben, die sich dafür interessieren, wann ich Geburtstag habe, wenn meine Kinder krank sind oder wie mein letzter Urlaub war, und genauso, ob das Projekt gut gelaufen ist oder nicht.
Das ist sicher keine einfache Aufgabe für die Führungskräfte, diesen Spagat zu schaffen.
Aber alternativlos. Denn die Alternative wäre, dass man Unmengen an Geld in Personal-Onboarding, -Ausbildung, -Offboarding stecken muss und wahnsinnig viele Reibungsverluste durch eine höhere Fluktuation hat. Damit verändert sich die Anforderung an die Führungskräfte. Wenn ich 30 oder 35 Jahre zurückschaue, war da noch das Verständnis, dass jeder der eine Ebene höher war, auch einfach besser war in dem, was du auch gemacht hast. Heute ist unmöglich geworden, dass irgendjemand das gesamte Wissen hat. Das heißt, die Aufgabe der Führungskraft geht viel stärker dahin, Menschen zu managen, damit diese das Wissen managen.
Soweit ich weiß, hattest du in deiner Karriere zumeist gute Chefs bzw. Mentoren, jedoch waren diese immer männlich. Ist es da als Frau nicht schwierig, einen eigenen Weg zu finden, wenn einem ausschließlich männliche Role models vorgelebt werden?
Ja, und das hat natürlich auch etwas mit mir gemacht. Das war interessant in der Vorbereitung auf meine neue Rolle: Das Bild, das ich von einem CEO hatte, ist tatsächlich ein männlicher CEO. Ich bin dann in eine Phase gekommen, in der ich mir überlegt habe, wie ich diese Rolle ausfüllen möchte und gleichzeitig ich selbst bleibe. Ich habe mir die Frage gestellt, wie das der allgemeinen Erwartung gerecht wird, wenn ein CEO kein Mann ist?
Selbst bei einer weiblichen CEO hat man oftmals gefühlt männlichen Attribute vor Augen. Meinen Platz und meine Rolle zu finden und mein intrinsisches Bild eines CEO zu verändern, das empfinde ich immer noch als einen sehr spannenden Prozess. Auf der anderen Seite habe ich wirklich die Ambition, dass man in zehn Jahren darüber gar nicht mehr diskutiert, weil es einfach egal ist.
Wenn du im Zusammenhang mit deiner beruflichen Laufbahn drei Wünsche frei hättest, welche wären das?
Mehr Zeit! Der Tag sollte nur für mich 48 Stunden haben. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass in meinem Leben jetzt schon Platz für zwei Leben war und ich hätte gern mehr Zeit, all das zu tun, was ich spannend finde. Das sind so viele verschiedene Bereiche, die mich interessieren – leider hat der Tag nur 24 Stunden. Was ich mir rückblickend und auch für die Zukunft wünsche: eine bessere Balance zwischen Selbstvertrauen, Selbstreflexion, Selbstzweifel. Ich glaube, dass viele, vor allem Frauen, nicht ihr Potenzial ausschöpfen, weil sie darauf konditioniert sind, sich ständig in Frage zu stellen. Es ist wichtig, selbstreflektiert zu sein, aber es gilt dabei eine Balance zu finden. Es kostet sonst einfach zu viel Energie, wenn man immer wieder mit sich selbst verhandeln muss. Und drittens: Ich wünsche mir mehr Frauen in Führungspositionen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass man Gleiches nachzieht. Ich bin der beste Beweis.