Die nachhaltige Gestaltung von Lieferketten erfordert eine strategische Integration ökologischer, sozialer und ökonomischer Kriterien in das Lieferantenmanagement. Welche Herausforderungen dabei auftreten und welche Lösungsansätze Unternehmen nutzen können, darüber spricht Boris Blazej, Geschäftsführer und Gründer von Supply Chain Partners, im Interview mit Stephan Stanzell, ehemaliger Mitarbeiter und angehender “MA Supply Chain Management” an der IU International University of Applied Sciences, im Rahmen seiner Masterarbeit.

„Die Unternehmenskultur ist für fast alle Projekte oder Vorhaben ein entscheidender Erfolgsfaktor“

Boris Blazej, Supply Chain Partners GmbH
Wie definiert man Nachhaltigkeit im Lieferantenmanagement?

Ein nachhaltiges Lieferantenmanagement bedeutet, ökologische, soziale und ökonomische Kriterien systematisch in die Auswahl, Bewertung und Zusammenarbeit mit Lieferanten zu integrieren. Unser Ansatz für das Lieferantenmanagement orientiert sich an der Unternehmensstrategie, in welcher Nachhaltigkeit grundlegend verankert sein sollte. Diese wird über Bereichsstrategien wie etwa zu Einkauf oder Produktion konkretisiert. Entscheidend ist dann die Differenzierung auf einzelne Material- und Warengruppenstrategien, die in ihrer Relevanz für Nachhaltigkeit variieren.

Beispielsweise ist bei globalen Lieferketten elektronischer Komponenten vorrangig der ökologische Fußabdruck zentral, während bei Gebäudereinigung möglicherweise eher soziale Aspekte wie Arbeitsbedingungen im Vordergrund stehen. Eine einheitliche Vorgehensweise für alle Lieferanten wäre ineffizient und wenig zielführend.

Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur in diesem Kontext?

Die Unternehmenskultur ist für fast alle Projekte oder Vorhaben ein entscheidender Erfolgsfaktor. Für die erfolgreiche Transformation eines Unternehmens zu mehr Nachhaltigkeit haben wir mit Experten drei Erfolgsfaktoren herausgearbeitet: erstens braucht es persönlich und glaubwürdig engagierte Personen, die Verantwortung für das Thema übernehmen können, wollen und dürfen. Das können Eigentümer, Führungskräfte oder andere einflussreiche Personen sein. Zweitens sollte mehr Nachhaltigkeit nach Möglichkeit mit weiteren Vorteilen wie Kostensenkungen oder Risikominimierung verbunden werden. Drittens müssen bestehende Trends in Industrie und Gesellschaft genutzt werden, um die eigenen Ressourcen für die Transformation zu schonen. Das können sich allmählich entwickelnde Standards, spezialisierte Dienstleistungen oder der Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen und Experten sein.

Kommen wir zu konkreten Fragen der Umsetzung: wie können Unternehmen Nachhaltigkeitskriterien effektiv in die Lieferantenauswahl integrieren?

Für die Unternehmen ist Effizienz eher das Schlüsselwort, weil es sich um neue, zusätzliche Arbeitsschritte handelt, die es so vorher nicht gegeben hat. Daher ist eine Segmentierung von Lieferanten nach Kritikalität sinnvoll – Lieferanten, die hinsichtlich Nachhaltigkeit kritisch sind, könnten dann intensiver überprüft werden, während weniger kritische nur einige grundlegende Anforderungen erfüllen müssten. Kritisch sind Lieferanten beispielsweise auf Basis ihrer Standorte oder der Wirtschaftsaktivität, in der sie tätig sind. Relevante Nachhaltigkeitskriterien wären beispielsweise Emissionen und Footprints, Qualität der Arbeitsbedingungen oder Recyclingquoten. Diese können systematisch in Ausschreibungen, Bewertungssysteme oder Lieferantengespräche integriert werden. Entscheidend ist es, von den Lieferanten Transparenz einzufordern, etwa durch Zertifikate oder entsprechende Kennzahlen. Technologien wie self-service-Lieferantenportale können hierbei ein weiterer Effizienzgewinn sein.

Welche Bedeutung können Zertifizierungen wie z.B. der ISO 14001 bei der Auswahl von Lieferanten haben?

Zertifizierungen wie ISO 14001 sind ein wertvolles Instrument zur Effizienzsteigerung, da sie belegen, dass Lieferanten ein Umweltmanagementsystem implementiert haben. Sie reduzieren somit den Aufwand, da Unternehmen somit weniger Nachhaltigkeitsaspekte selbst prüfen müssen. Darüber hinaus sind Informationsdienstleister wie EcoVadis oder Kooperationen in Unternehmensverbänden nützlich, um den Bewertungsaufwand zu reduzieren. Der Ablauf „Segmentierung – Bewertung – Entwicklung“ kann durch Zertifikate und Bewertungsplattformen effizienter gestaltet werden, indem man Lieferanten mit anerkannten Nachweisen zunächst mehr Vertrauen entgegenbringt und den internen Prüfaufwand auf andere kritische Lieferanten konzentriert.

Was leistet ein „Supplier Code of Conduct“ in diesem Zusammenhang?

Ein Supplier Code of Conduct definiert klare Erwartungen an die Nachhaltigkeit und das ethische Verhalten von Lieferanten. Er schafft eine verbindliche Grundlage für die Zusammenarbeit und trägt dazu bei, Risiken wie Umweltverschmutzung oder Menschenrechtsverletzungen zu minimieren.

Allerdings ist er in der Praxis oft nur ein „Hygienefaktor“ – also eine Grundvoraussetzung, die allein nicht ausreicht, um tatsächliche Verhaltensänderungen zu bewirken. Daher braucht es ergänzende Maßnahmen wie die oben besprochenen Nachhaltigkeitskriterien, Anreizsysteme oder Entwicklungsprogramme, um die Umsetzung nachhaltiger Praktiken aktiv zu fördern.

Was ist bei der Lieferantenbewertung zu beachten, damit Nachhaltigkeit gut abgebildet ist?

Es müssen entsprechende Kriterien in den Bewertungsprozess einfließen. Das bedeutet, mehr Fragen zu stellen, ihnen mehr Gewicht zu geben und gegebenenfalls den Bewertungsumfang zu erweitern. Besonders wichtig ist dabei wieder im Sinne der Effizienz, zwischen verschiedenen Warengruppen zu differenzieren und den Fokus auf die Lieferanten zu legen, die für die eigene Nachhaltigkeit im Sinne der „doppelten Wesentlichkeit“ besonders relevant sind. Es muss nicht für jeden Lieferanten jede mögliche Frage beantwortet werden.

Nach einer unzureichenden Bewertung wird oft empfohlen, Entwicklungsmaßnahmen wie Schulungen für strategisch wichtige Lieferanten einzuleiten. Schafft dies Mehrwert für beide Seiten oder ist es vor allem für die Lieferanten zeitaufwendig?

Lieferantenentwicklung kann zeitaufwendig sein, schafft aber in strategischen Partnerschaften klaren Mehrwert. Bei wichtigen Lieferanten wird sie oft sinnvoll sein, um gemeinsame Ziele, wie mehr Nachhaltigkeit, zu erreichen. Sie ist eines der wenigen Mittel, um nach dem Zuschlag an einen Lieferanten noch Einfluss zu nehmen, wenn sich Umstände ändern oder Lücken bestehen. Einzelne Schritte wie eine klare Problemdefinition, Entwicklung von Lösungsansätzen und die Verteilung von Verantwortlichkeiten sind dabei essenziell und lohnen sich besonders bei kritischen Zielen wie der CO2-Reduktion.

Bei weniger kritischen Lieferanten, auslaufenden Lieferbeziehungen oder einer schlechten Gesprächsbasis zu Lieferanten sind derart aufwändige Maßnahmen aber oft einfach nicht vertretbar.

Hältst du Nachhaltigkeitsberichte, beispielsweise nach dem GRI-Modell, für ein effektives Instrument im Rahmen des Lieferantenmanagements?

Ich halte Nachhaltigkeitsberichte grundsätzlich für sehr nützlich. Ihr Hauptzweck ist, Transparenz zu schaffen und faktenbasierte Informationen bereitzustellen, um einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu schaffen. Sie können Betroffenheit auslösen, Defizite aufzeigen und vielleicht sogar Verbesserungspotenziale identifizieren. Darüber hinaus steigern sie das Wissen über Nachhaltigkeit bei Erstellern und Lesern gleichermaßen. Aus meiner Sicht sind solche Berichte nicht reiner bürokratischer Ballast, sondern ein essenzieller Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaftstätigkeit. Diese frühe Hürde kann tatsächlich aufwändig sein, wenn viele Arbeitsschritte zum ersten Mal durchlaufen werden – vergleichbar mit dem aller ersten Jahresabschluss eines Unternehmens. Doch sobald diese überwunden ist, wird jede weitere Maßnahme auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft deutlich leichter.

Können Nachhaltigkeitszahlen wie CO2-Emissionen oder Wasserverbrauch sinnvoll zur Steuerung von Lieferanten genutzt werden? Ist ein kennzahlenbasiertes Reporting zielführend?

Ja, aber nur mit einer klaren Zielsetzung. Unternehmen sollten zuerst ihre Nachhaltigkeitsziele definieren und darauf aufbauend die passenden Kennzahlen erheben. Ein rein datengetriebenes Reporting ohne Steuerungsfunktion bringt wenig Nutzen. Nachhaltigkeitskennzahlen ermöglichen objektive Vergleiche zwischen Lieferanten, machen Fortschritte messbar und helfen, gezielt Verbesserungen anzustoßen. Entscheidend ist, dass Kennzahlen gezielt erhoben und genutzt werden.

Wie schwierig ist es, die relevanten Daten von Lieferanten zu erhalten, etwa den Energieverbrauch?

Das kann eine Herausforderung sein, da Lieferanten solche Daten oft als sensibel einschätzen oder selbst noch gar nicht kennen. Dennoch steigt die Bereitschaft zur Transparenz, da der Nutzen von Daten zunehmend erkannt wird. Mit etwas Beharrlichkeit und Vertrauen lässt sich diese Hürde meist überwinden. Alternativ muss ich mit anderen Annahmen arbeiten, aber diese müssen nicht notwendigerweise schlechter sein als die Informationen von Lieferanten.

Welche internen und externen Herausforderungen siehst du bei der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit? Liegt es eher am fehlenden Know-how oder an mangelnder Motivation?

Intern mangelt es oft an Know-how, Ressourcen oder einer klaren Priorisierung. Zudem stehen Nachhaltigkeitsziele manchmal im Konflikt mit wirtschaftlichen Faktoren wie Kostendruck.

Und wie sehen die externen Herausforderungen aus, etwa bei unterschiedlichen Gesetzeslagen oder fehlender Kooperationsbereitschaft von Lieferanten?

Unterschiedliche nationale Gesetzeslagen – beispielsweise gelten in Frankreich sehr strenge Verpackungsvorschriften – sind eine Herausforderung für international agierende Unternehmen, können aber auch eine Chance sein. Unternehmen müssen entscheiden, ob sie spezielle Anforderungen nur für einen Markt umsetzen oder als Standard einführen. Frühzeitiges Handeln kann Wettbewerbsvorteile schaffen, wenn man davon ausgehen kann, dass andere Märkte ähnliche Regeln übernehmen, was speziell in der EU nicht unwahrscheinlich ist.

Fehlende Kooperationsbereitschaft von Lieferanten ist zunächst ein wichtiger Indikator für die Qualität der Lieferanten und Beleg für die Notwendigkeit eines guten Lieferantenmanagements. Dabei müssen Unternehmen sehr gut differenzieren: mit strategischen Partnern muss man Einigung finden, sonst stellen sie ein Risiko dar. Was Lieferanten nicht oder ungenügend machen, fällt letztlich auf das  Unternehmen selbst zurück. Nachhaltigkeit ist hier nur ein weiteres Entscheidungskriterium für oder gegen Lieferanten neben Qualität, Innovationskraft und guten Preisen.