Die Einschätzung, was guter oder erfolgreicher Einkauf ist, basiert in der Praxis stark auf Einschätzungen von einschlägigen Medien, Beratern oder „Opinion Leaders“ unter Einkäufern. Im Tagesgeschäft der Unternehmen fehlen oft erwiesene Eckpunkte oder unverrückbare Maßstäbe, es werden leidenschaftliche Diskussionen geführt, vieles wird ausprobiert jedoch auch viele Enttäuschungen produziert. In anderen Kernprozessen der Unternehmensführung wie beispielweise Produktentwicklung, Logistik oder Personalführung vertrauen Unternehmen längst standardmäßig auf Erkenntnisse der modernen Natur-, Formal- und Geisteswissenschaften. Viel weniger ist das im Einkauf der Fall, obwohl es eine interessante und wachsende Forschungslandschaft gibt (siehe z.B. Journal of Purchasing and Supply Management, International Journal of Procurement Management oder Journal of Public Procurement). Und viele der gewonnenen Erkenntnisse sind nicht nur theoretisch interessant, sondern sehr konkret anwendbar – mit letztlich hart messbarem Erfolg.

Relevante Studien zur Einkaufsperformance legen nahe, dass eine nachhaltige Erhöhung der messbaren Einkaufsleistung durch einen höheren Reifegrad der Einkaufsorganisation erreicht wird.

Boris Blazej, Supply Chain Partners

Reifegrad steigern statt Euros jagen

Relevante Studien zur Einkaufsperformance (z.B. Testing the procurement–performance link, Key strategic tools, Cost savings and strategic performance) legen nahe, dass eine nachhaltige Erhöhung der messbaren Einkaufsleistung durch einen höheren Reifegrad der Einkaufsorganisation (und damit der handelnden Mitarbeiter und ihrer Instrumente) erreicht wird. Nach klassischem Verständnis sind Preis- und Kostensenkung der „Goldstandard“ für Einkaufsleistung. In bestimmten Branchen und bei höheren Reifegraden kommen weitere Werte, wie beispielsweise zusätzliche Umsätze (durch gewonnene Aufträge dank kompetitiver Konditionen), ökologisch und sozial nachhaltige Lieferketten oder nutzbare Innovationen der Lieferanten als wichtige Beiträge hinzu.

Nachhaltig bedeutet in diesem Zusammenhang nicht die Durchführung einzelner konkreter Maßnahmen zur Kostensenkung, diese werden gewöhnlich als taktische und kurzfristige Aufgaben angesehen, sondern das Schaffen eines Umfeldes, in dem diese Maßnahmen einfacher, selbstverständlicher, ja „automatischer“ durchführbar werden.

Nicht nur die Forschung kennt viele verschiedene Modelle und Definitionen von Reifegraden (auch bezeichnet als „Einkaufsreife“) – gemeinsam ist all diesen Modellen eine Unterscheidung in meist fünf Leistungskategorien entlang verschiedener Bewertungsdimensionen. Wesentlicher Beitrag der wissenschaftlichen Arbeiten hierzu sind die tatsächlich relevanten Bewertungsdimensionen und Hinweise darauf, wie diese zum nachhaltigen Erfolg beitragen können. Nachweislich erfolgskritisch sind demnach vor allem drei Dimensionen:

  • Geeignete Organisationsstruktur
  • Effektiver interner Wissensaustausch
  • Beziehungen zu externen Partnern

Messbaren Wertbeitrag liefert der strategische Einkauf

Während eine direkte Beziehung zwischen Reifegrad und Einkaufsleistung bereits länger diskutiert und untersucht wurde, lieferte die Einführung des strategischen Einkaufs  (z.B. Study of key strategic tools) ein essenzielles kausales Bindeglied. Der Begriff „strategischer“ Einkauf meint dabei alle Aktivitäten und Prozesse mit Einkaufsbezug, deren unmittelbares Ziel ist, die Einkaufsleistung zu erhöhen. Eine allgemeine und hinreichend Definition von strategischen Aktivitäten (somit u.a. des strategischen Einkaufs) umfasst all jene meist mittel- und langfristigen Bemühungen, welche die bestehenden Strukturen und Systeme hinterfragen, weiterdenken und letztlich wertstiftend verändern. Sie stehen somit in direktem Gegensatz zu operativen Aktivitäten, die bestehende Strukturen und Systeme lediglich nutzen.

Je reifer Einkaufsorganisationen sind, umso mehr Zeit können sie für strategische Aktivitäten aufwenden, umso besser können sie diese durchführen, weil sie ein höheres Wissen vorhalten und umso höher wird letztlich die erzielte Einkaufsleistung sein.

Es entwickelt sich eine Eigendynamik, welche mittels immer mehr strategischen Aktivitäten unter Einsatz von immer ausgefeilterem Wissen und mit immer effektiveren Methoden immer höhere Einkaufsleistungen ermöglicht.

Boris Blazej, Supply Chain Partners

Mit diesem Wissen lässt sich ein Kreislauf positiver Rückkopplung für grundlegende Veränderung schaffen: durch eine Effizienzsteigerung in den operativen Einkaufstätigkeiten (als mögliches Ergebnis strategischer Maßnahmen), beispielsweise durch Automatisierung, Straffung oder Bündelung, bleibt mehr Zeit für strategische Tätigkeiten, welche wieder zu weiteren Verbesserungen führen. So entwickelt sich eine Eigendynamik, welche mittels immer mehr strategischen Aktivitäten, unter Einsatz von immer ausgefeilterem Wissen und mit immer effektiveren Methoden immer höhere Einkaufsleistungen ermöglicht.

Abschließend gibt uns die angewandte Forschung noch eine wichtige Einschränkung der beschriebenen Mechanismen mit auf den Weg. Die erfolgreiche Umsetzung strategischer Aktivitäten setzt voraus, dass diese an den aktuellen Reifegrad der Organisation angepasst sind. Beispielsweise muss am unteren Ende des Reifegrad-Spektrums eine gewisse „Mindestreife“ erreicht werden, um überhaupt Nutzen aus dem Einsatz von strategischen Tools und Methoden zu ziehen. Der Einkauf muss über ein Mindestmaß an methodischen und fachlichen Kenntnissen sowie Fähigkeiten verfügen und es müssen zumindest erste organisatorische Spielräume geschaffen worden sein, um den beschriebenen positiven Kreislauf in Gang setzen zu können.

Auf in die praktische Umsetzung!

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich jedenfalls lohnt, wissenschaftliche Forschungen im Bereich Einkauf zu verfolgen und Nutzen aus diversen Erkenntnissen zu ziehen. Richtig angewandt lässt sich etwa ein „wissenschaftlich abgesichertes Kochrezept“ für eine messbar gesteigerte Einkaufsleistung ableiten:

  • Die Basis für nachhaltige Verbesserung liegt im Herstellen von drei Voraussetzungen, die dabei helfen, wertvolles Wissen zu erwerben, halten und auszubauen, nämlich
    1. Geeignete Organisationsstruktur aufbauen
    2. Effektiven internen Wissensaustausch institutionalisieren
    3. Beziehungen zu externen Partnern entwickeln
  • Mehr Wissen ermöglicht einen höheren Reifegrad und im Wesentlichen mehr Zeit, höhere Kompetenz und umfassendere Methoden für strategischen Einkauf.
  • Der Oberbegriff des strategischen Einkaufs vereint Aktivitäten im Einkauf, die direkt eine messbare Erhöhung der Einkaufsleistung zur Folge haben indem sie bestehende Strukturen verändern.
  • Einkaufsleistung bezeichnet jene messbaren Ergebnisse, die ein Unternehmen durch „gutes Einkaufen“ erreichen möchte: Preis- und Kostensenkung, Umsatzsteigerung, Nachhaltigkeit, nutzbare Innovationen etc.

Halten diese Erkenntnisse einer praktischen Prüfung stand? Die Zusammenhänge decken sich  tatsächlich über weite Strecken mit unserer praktischen Erfahrung bei Unternehmen verschiedener Größen, Branchen und Reifegrade:  Unternehmen, die nachhaltig messbare Erfolge im Einkauf erreicht haben, konnten – wissentlich oder zufällig – die oben beschriebenen Mechanismen mehr oder weniger stark in Gang setzen. Umgekehrt haben große Optimierungsbemühungen ohne den Blick auf die wesentlichen Zusammenhänge eventuell kurzfristig viel bewegt und doch nicht zu nachhaltigen Verbesserungen geführt. Ohne einen erfahrenen Koch ist das beste Rezept kein Garant für eine gute Speise. Die Kunst liegt im Detail und in einer maßgeschneiderten Abfolge von Maßnahmen in den Dimensionen Mensch, Prozess und Technologie – das ist seit knapp zwei Jahrzehnten unsere Passion und die Mission von Supply Chain Partners.