So manch eine/r kann es nicht mehr hören. Egal welches Magazin man aufschlägt oder welchen Wirtschafts-Podcast man hört, es scheint nur noch ein Thema zu geben. Schlechte Nachricht an dieser Stelle: dies wird auch noch länger so bleiben!
Dieser kurze Artikel soll jedoch einen unverklärten Blick auf das Thema der Digitalisierung und seiner Entwicklungen werfen. Ein Blick, den wir als Sparring Partner des Managements in unseren Projekten einzubringen versuchen.
Der wichtigste Punkt zu Beginn:
Digitalisierung ist kein Selbstzweck!
Noch immer soll Digitalisierung die effizientere oder effektivere Erfüllung der Unternehmensstrategie, die sich an den Kundenbedürfnissen orientieren und ausrichten sollte, gewährleisten.
Wenn man gewisse Digitalisierungsbemühungen näher unter die Lupe nimmt, hat man allerdings das Gefühl, dass es sich hierbei um opportunistische Aktivitäten handelt, die rein „des Digitalisierens willens“ betrieben werden. Auf die Frage, welches strategische Ziel die Bemühung unterstützen soll, bleibt die Antwort oft aus. Auch die Überlegungen des konkreten Leistungsspektrums oder des anzustrebenden Business Cases wurden oft nicht angestellt.
„Der Aufsichtsrat meint, wir müssten stärker digitalisieren.“
An und für sich richtig, allerdings überlegen wir uns für unseren Urlaub auch wohin wir fahren und wie wir dorthin kommen wollen. Wir fahren nicht los und hoffen, in irgendeinem Hotel einen Platz für zwei Wochen zu bekommen. Das bedeutet wir benötigen ein Ziel und einen Plan (=Strategie), wie wir zu diesem Ziel gelangen wollen. Digitalisierung ist zu diesem Zweck nur ein Mittel unter vielen, wie wir schneller, kostengünstiger oder risikoärmer zu diesem Ziel gelangen.
Da die Verantwortung der Strategieentwicklung immer noch ureigenste Aufgabe der Geschäftsführung und funktionalen Bereiche ist, sollte auch die Ableitung von Digitalisierungsmaßnahmen in ebendiesen Fachbereichen stattfinden und dort vorangetrieben werden.
Derzeit scheint dies allerdings nicht mehr en vogue zu sein. Die ehemaligen Leiter der EDV/IT wurden zu Chief Digital Officers gemacht und mit dem Auftrag versehen, das Unternehmen zu digitalisieren!
Digitalisierungsbemühungen sollten aus den Fachbereichen und nicht aus der IT getrieben sein!
Aus meiner Sicht sprechen hier leider mehrere Argumente gegen einen derartigen Weg der Digitalisierung:
- Niemand kennt die Prozesse besser als der Fachbereich. Auch wenn die IT Know-how zu den im Unternehmen angewendeten Technologien besitzt (ua. ERP-Systeme) so sind tatsächlich gelebte Prozesse durchaus komplexer bzw. weichen nicht unerheblich davon ab.
- Auch die Dimension „Mensch“ wird in Projekten meist vernachlässigt. Mitarbeiter werden zu oft zu spät eingebunden und verhindern so eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Ängsten und Widerständen zu Digitalisierungsbemühungen, die sie betreffen.
- Um Komplexität zu vermeiden, wird häufig eine vermeintliche All-in-One Lösung gesucht und angeschafft, die zumeist teure, nicht notwendige Funktionalitäten enthält oder teuer angepasst werden muss. Für eine „Best-of-breed“ Modularität, die sich an der besten Softwareunterstützung je nach Geschäftszweck orientiert, sind viele IT-Abteilungen noch nicht ausgestattet.
So haben viele Projekte als Proof of Concept in der IT begonnen, aber die Skalierung aufgrund der oben erwähnten Punkte nie geschafft. In anderen Fällen kosten die Teil- bzw. Nichtanwendung der eingeführten Technologie das Unternehmen Jahr für Jahr viel Geld, ohne dass sich der ursprünglich gezeigte Business Case einstellt.
Liegen der Reifegrad der Dimensionen Mensch, Prozess und Technologie nicht nahe zusammen gelingt es vielleicht „papierlos“ zu werden, aber nur selten, den tatsächlich vorgesehenen Mehrwert von Digitalisierung zu generieren.
Darum mein Aufruf an alle Fachbereichsleiter:
Nehmen Sie das Digitalisierungsruder selbst in die Hand!
- Erstellen Sie eine Fachstrategie auf Basis der Unternehmensstrategie!
- Entwerfen Sie Maßnahmen, um diese Strategie erfolgreich umzusetzen!
- Holen Sie sich die Expertise, wie Digitalisierung bei der Abarbeitung der Maßnahmen behilflich sein kann und erstellen Sie einen Business Case!
- Sichern Sie sich Kapazitäten in der IT oder am Markt um diese Bemühungen umzusetzen!
- Binden Sie die involvierten Mitarbeiter ein und arbeiten Sie mit und nicht gegen ihren Widerstand!
Denn auf Basis der oben genannten Punkte werden ausgesuchte Digitalisierungsmaßnahmen gelingen und den fahlen Beigeschmack von „Selbstzweck“ verlieren.