Jeder Manager, der einige Zeit mit Einkauf beschäftigt war, kennt Phrasen wie: “Den Preis kann ich aber nur machen, wenn er absolut vertraulich bleibt …“ oder „Wenn das andere Kunden erfahren, kann ich zusperren!” Oftmals führen diese Anmerkungen der Vertriebsseite zu einem erfolgreichen Abschluss des Geschäfts, da die Einkäufer hinter dem Angebot den optimalen Preis vermuten und sich den aufwändigen Vergleich mit Konkurrenzlieferanten vermeintlich ersparen können. Diese „Illusion des besten Preises“ stellt jedoch eines der größten Hindernisse für die effektive Optimierung des Einkaufs bei mittelständischen Unternehmen dar.
Es war und ist die „Illusion des besten Preises“, die dazu beiträgt, dass ein qualitativ schlechter Lieferant mit einem gut geschulten Vertrieb im Markt weiterhin erfolgreich sein kann. Es ist die gleiche Illusion, die es Unternehmen erschwert, intern umzudenken und sich wirklich nachhaltig im Einkauf zu optimieren.
Der „beste“ Preis ist Ansichtssache
Eine eindeutige Definition des „besten“ Preises gestaltet sich als schwierig, da der Begriff aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden kann. Im Folgenden werden vier unterschiedliche Ansichten erläutert.
1) Theoretisch betrachtet ist der „beste“ Preis einer, den kein anderer Einkäufer für den gleichen Gegenwert unter festgelegten Bedingungen erreicht. Dies ist jedoch praktisch nie mess- oder beweisbar und kann somit auch zu einer Illusion führen.
2) Für einen operativen Einkäufer ist der optimale Preis das Angebot des zum aktuellen Zeitpunkt bestbietenden Lieferanten. Nach dieser Definition kann der Preis allerdings deutlich über oder unter den tatsächlichen Herstellkosten liegen. So kann es sein, dass selbst das beste Angebot weit weg von einem guten Preis liegt. Bieten Lieferanten über einen längeren Zeitraum hinweg einen Preis unter den Herstellkosten an, werden sie früher oder später Probleme bekommen und die Preise erhöhen, Qualität und Service reduzieren oder sich vom Markt verabschieden müssen. Eine solche kurzfristige Betrachtungsweise kann daher für Unternehmen in beiden Fällen durchaus gefährlich sein.
3) Psychologisch betrachtet ist der „beste“ Preis nichts anderes als die „Wohlfühlzone“ für den Einkäufer. Große Einkaufsvolumina werden nicht selten als Rechtfertigung für das preislich beste Angebot gesehen: „Wir machen so viel Umsatz bei diesem Lieferanten, bei uns achtet er nicht auf die Marge sondern lediglich auf seinen Grundumsatz”. Von Einkäufern kleinerer Volumina hört man wiederum: „Unsere Bestellmengen sind nicht so groß, Lieferanten nehmen uns kaum wahr und kümmern sich um größere Kunden“. In beiden Fällen ist ein Gespräch mit Kollegen aus dem Vertrieb ratsam, um zu klären, ob große Einkaufsmengen immer bessere Preise mit sich bringen und wie viele der eigenen Kunden tatsächlich keinen Deckungsbeitrag erzielen müssen.
4) Mithilfe der Kostenrechnung kann ein langfristig „bester“ Preis, oder besser gesagt ein optimaler Preis definiert werden. Dieser setzt sich zusammen aus den Vollkosten und einem moderaten Beitrag zur Ergebnismarge. Darüber hinaus könnte man einen Korridor, der sich zwischen den Herstellkosten und maximal der doppelten durchschnittlichen Ergebnismarge der Zulieferbranche aufspannt, als einen „gesunden Preis“ bezeichnen (siehe Abbildung 1). Preise darüber begünstigen den Lieferanten ungebührend auf Kosten des Einkaufs und sollten vermieden bzw reduziert werden.
Eine derart detaillierte Kostenbetrachtung erfordert einigen Aufwand sowie spezielle Expertise und ist daher im laufenden Tagesgeschäft eines operativ getriebenen Einkaufs nicht möglich. Daher streben viele Einkäufer ein Benchmarking mit der Konkurrenz an, wobei es aber neben kartellrechtlichen Fallen auch technisch bzw methodisch einige Anforderungen zu beachten gilt. Um einen realistischen Hinweis auf den „besten“ Preis zu erhalten, müsste nahezu der gesamte Markt befragt werden – das wäre jedoch mit einem zu großen Aufwand verbunden. Bei einer kleineren Stichprobe wiederum müssten die Teilnehmer des Benchmarkings kürzlich bzw regelmäßig den Lieferantenmarkt breit und seriös befragt haben. In einem nächsten Schritt sollte das so erhaltene Preisniveau gegen Rohstoffmärkte und andere Einflüsse abgesichert werden. Eine Vorgabe seitens der Geschäftsleitung müsste auch eine laufende Kostenoptimierung sein. Alles in allem, ist es mit großem Aufwand verbunden, den „besten“ Preis tatsächlich zu eruieren.
Der „beste“ Preis als Sackgasse
Es gibt allerdings (Einkaufs-) Manager, die um die Illusion des „besten“ Preises Bescheid wissen und daher ein anderes Ziel verfolgen: einen „immer besseren Preis“, oder noch sinnvoller: immer niedrigere Gesamtkosten. Diese Unternehmenslenker honorieren laufende Optimierung und entlohnen ihre Einkäufer nach hart messbaren Kennzahlen, so wie sie selbst ergebnisorientiert entlohnt werden. Für sie ist der „beste“ Preis daher ein unbefriedigender Zustand, sozusagen eine Sackgasse. Von diesen Akteuren wird man den Begriff „bester Preis“ entsprechend auch nicht hören. Ihr Ziel ist es, unter genau definierten Anforderungen den optimalen Preis zu zahlen, bei dem der bestgeeignete Lieferant seine Kosten langfristig decken kann und dazu einen moderaten Ergebnisbeitrag verdient. Ist das nicht der Fall, wird der Preis weiter optimiert; ist das bereits der Fall, widmet man sich den tatsächlichen Kosten im eigenen Unternehmen und in der gesamten Supply Chain.
Patentrezept für optimale Preise
An dieser Stelle sollen Illusionen zerstreut und nicht neue aufgebaut werden, daher wäre es vermessen, die Anleitung für optimale Preise auf wenige Sätze zu reduzieren. In Literatur sowie Praxis sind zahlreiche Ansätze, Maßnahmen oder „best practices“ für einzelne Branchen, Produkte und Dienstleistungen zu finden. Trotzdem gibt es im mittelständischen Einkauf eine Art Patentrezept: 1.) noch intensiveren Wettbewerb schaffen, 2.) Absicherung gegen bzw faire Teilung von Rohstoffpreisschwankungen und -risiken und 3.) vollständige Transparenz über sämtliche Preis- und Kostenbestandteile.
Es war und ist die „Illusion des besten Preises“, die dazu beiträgt, dass ein qualitativ schlechter Lieferant mit einem gut geschulten Vertrieb im Markt weiterhin erfolgreich sein kann. Es ist die gleiche Illusion, die es Unternehmen erschwert, intern umzudenken und sich wirklich nachhaltig im Einkauf zu optimieren.